libretti

Lorry 39 (2022)(for Ying Wang)

opera
Theater Freiburg, 9.10.2022 / part of "Escape"

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"Ihr Musiktheater ist eine Art klaustrophobisches Protokoll, fokussiert in den Empfindungen einer Protagonistin ..." Opernwelt

Lorry 39 is an artistic exploration of the dismay and anger left by the news of the tragic event of October 22 and 23, 2019. 39 suffocating in a parked lorry. The incomprehensible agony in the dark, blazing hot container; the lies and compulsions that led to this journey in the first place; the fatal consequences of small omissions, coincidences and mistakes; the angry disappointment that after Parndorf something like this could happen again. In the face of this, even the language of protocols fails - the music takes over and music theater emerges. There, anger, disappointment and speechlessness become a kind of tension, of artistic discrepancy, which becomes the motor of the music theater, and which offers the possibility of awareness and discourse without having to struggle for answers.

Janus (2022)(for Ying Wang)

for one male voice and ensemble
6.11.2022, Berlin

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Janus, an overly self-obsessed god, is confronted with his misbehavior. A musical press conference.

Pressekonferenz: ​Der römische Gott Janus hat zwei Gesichter, je eines für das andere Ende des einen. Er ist Gott des Beginns und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Zukunft und der Vergangenheit – und vielleicht noch wichtiger, er ist auch Gott des Dazwischen – also des Übergangs. Türen und Durchgänge gehorchen ihm. Er ist noch heute Teil von Alltagskultur. Die antike Darstellung des Doppelkopfes taugt ausgezeichnet zum Logo unzähliger Firmen, Institutionen oder fiktiver Verbrechersyndikate, die sich dessen Ambivalenz als Umsichtigkeit umhängen. Wer sich mit Dialektik schmückt, glaubt immer recht zu haben. Auch Janus selbst ist sein Bescheidwissen schon lang zu Kopf gestiegen und zur Besserwisserei geworden. Arrogant stellt er sich im Namen seiner Klugheit, Regeln und „Moral“ über andere. Sein Entitlement trübt seine Blicke. Jeder Ort und jede Zeit hat ihren Janus. Die Musik von Janus zeigt seine wahren Gesichter und stellt sich ihm entgegen. Nun ist die Musik eine Kunst des Übergangs; jede Melodie, jede sich bewegende Textur entsteht überhaupt erst im Sich-entwickeln. Wer über Beginn, Ende und die Übergänge herrscht, also kontrolliert, wie alles sich entwickelt, wäre wohl auch als Gott der Musik gut zu gebrauchen. Genau hier setzt die Musik an: Sie befreit sich von Janus‘ Regelwerk. Sie bricht die Übergänge, springt von falschen Beginnen zu falschen Enden. Sie raubt Janus die Kontrolle über das Werden der Dinge. Er muss sich unberechenbaren Sprüngen „ergeben“ – immer und immer wieder. Was uns eine spielerische, unmittelbare Musik ist, ist für den Besserwisser Janus, der alle Prozesse beherrschen will, eine Tortur.

DELETE [sic!] (2021)(for Ying Wang)

Monodram
3.9.2021, Hanover

Mensch sein bedeutet Gedächtnis – individuelles und kulturelles; sich zu erinnern und auch zu vergessen. Doch wieviel Vergessen brauchen oder vertragen wir? Wann überschreitet die Vergesslichkeit die Grenzen der Moral? Unsere Erinnerungen sind auch vor uns nicht sicher. Sie vermischen sich mit Wünschen, vielleicht sogar mit Lügen. Ein Teil unseres Lebens ist von uns selbst erfunden, ein Teil von Anderen: Erinnerungen, medial implantiert, zensiert von Manipulationsdiktaturen. Was wäre, wenn wir nicht vergessen könnten? Die totale Verfügbarkeit der Vergangenheit könnte unseren Blick auf uns selbst maßgeblich ändern. Das selbst Erlebte zu vergessen, ist etwas anderes als etwas nie erlebt zu haben. Ein Rest bleibt immer, wenn auch tief verborgen und über die Zeit hinweg stark verfremdet. Das was von den meisten Tragödien bleibt sind dennoch nur Notizen. In manchen Fällen sogar nur Zahlen.

The Envoy (2020)(for Yang-Song)

opera
25.12.2020, Hangzhou

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Together with the philosopher Katherina Kinzel

1977 the probe Voyager 1 is sent into space. 2012 she left our solar system. Scientists said she should deplete all her energy resources by 2025 but somehow she didn’t.
About 100 years from now she still travels in the interstellar void. Pluto has long passed by; a final picture was taken and sent home. Since then: silence. Nothing to see, nothing to report. No purpose. The communication with the scientists on Earth had stopped long ago - the distance too far. Left alone, the outer void becomes an inner void. Voyager starts to feels abandoned, feels anger and desperation. She recalls what she has seen and dwells in her memories. In there she finds a message left for her. She start to discover what she is carrying with her all along the way. A golden disc full of information, language and music. Among them Orfeo. Monteverdi’s first opera becomes a source of hope and identification. Orfeo, walking alone into the darkness of the unknown underworld, not supposed to turn back, seeking for something lost. Like him, in emotional turmoil, she gains confidence from music and sends back one last message.​